Fischer Group International
Juli 29, 2019

Purpose: Auf der Suche nach dem Sinn (Teil 1)

Von: Lisa Weise

Für viele Manager war Sinnstiftung (oder Purpose) bisher ein weiches, unscharfes Wohlfühlthema, das nicht in ihrem Fokus stand. Im ersten Teil der Reihe nennen wir sechs gute Gründe, warum es sich doch gerade jetzt lohnt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Im zweiten Teil stellen wir Ihnen unsere fgi-internen Definitionen für „Mission“, „Vision“ und „Purpose“ vor und setzen uns kritisch mit diesen Begriffen auseinander. Im dritten Teil zeigen wir Ihnen, wie Sie für Ihr Team, Ihren Bereich oder Ihr Unternehmen eine tragfähige Purpose-Story entwickeln können.

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Warum lohnt sich die Suche nach dem Sinn?

Für viele zahlengetriebene Manager war Sinn (oder Purpose) bisher ein weiches, unscharfes Wohlfühlthema, das nicht in ihrem Fokus stand. Dabei zeigen neuere Studien nicht nur, dass „sinnorientierte“ Unternehmen einen deutlich höheren Shareholder Value erzielen als rein ergebnisorientierte Unternehmen. Sie zeigen auch, dass eine neue Generation von MitarbeiterInnen nicht länger nur durch materielle Vorteile angezogen wird, sondern gleichwohl eine Antwort auf ihre persönliche Suche nach Sinn sucht: Sie möchten zu etwas beitragen, das größer ist als ein finanzielles Ziel. Sogar Larry Fink, Chef von BlackRock, forderte in seinen jährlichen Schreiben (2018 und 2019) an die einflussreichsten CEO´s der Fortune 500 und großer europäischer Konzerne, ihren Sinn zu definieren, denn ohne Sinn könne „[…] kein Unternehmen, weder öffentlich noch privat, sein volles Potenzial ausschöpfen“[1].

Es gibt viele gute Gründe für Unternehmen, sich gerade jetzt mit dem tieferen Sinn der eigenen Organisation zu beschäftigen. Wir haben sechs ausgewählt:

1. Sinn rechnet sich

„Sinnorientierte“ Unternehmen, d.h. solche, die nicht nur ein Purpose-Statement formuliert haben, sondern in denen Führungskräfte wie MitarbeiterInnen dieses auch durch ihr Verhalten zum Leben erwecken,

  • übertreffen ihre Wettbewerber um bis zu 42% mit Blick auf die finanzielle Performance[2], denn: Wo ein drängendes Problem der Menschheit gelöst und damit die Welt wenigstens an einer kleinen Stelle besser gemacht werden kann, dort sind auch die größten Märkte[3].
  • sind deutlich optimistischer in Bezug auf ihre Zukunft und ihr Wachstum.
  • haben deutlich loyalere und engagiertere Kunden, denn sie machen den positiven Einfluss auf die Welt ihrer Kunden zu ihrer Top-Priorität[4]
2. Sinn bietet Orientierung in der VUCA-Welt

Das eigene Verhalten am Unternehmenspurpose auszurichten, hilft vor allem Top-Führungskräften dabei,

  • das strategische Zukunftsbild Wirklichkeit werden zu lassen: Folgen Unternehmen dem übergeordneten Ziel, die Gesellschaft und/oder das Leben ihrer Kunden zu verbessern, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie unerwartete Geschäftsmöglichkeiten erkennen und schneller auf diese reagieren[5].
  • Entscheidungen in Zeiten hoher Volatilität effektiv zu treffen: Der Unternehmenspurpose dient hier als eine Art Filter zu Vermeidung von Handlungen, die den Interessen der Kunden und/oder der Gesellschaft und damit der Organisation zuwider laufen[6].
  • das Vertrauen von Stakeholdern in einem zunehmend fragilen politischen und sozialen Umfeld zurückzugewinnen: Stagnierende Löhne, die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsplätze und die Unsicherheit über die Zukunft haben zu Wut, Nationalismus und politischer Dysfunktion in der Bevölkerung geführt. Da das Vertrauen in den Multilateralismus und die offiziellen Institutionen schwindet, fordern die Stakeholder nun von den Unternehmen, dass sie in einem breiteren Themenspektrum eine Vorbildrolle übernehmen[7].

3. Sinn fördert Engagement

Eine gemeinsame sinnstiftende Aufgabe verbindet das Management, die MitarbeiterInnen, die Kunden und die Gesellschaft mit der Folge,

  • dass das Gesamtengagement steigt (zwischen 12% bei MitarbeiterInnen und 60% bei Führungskräften[8]), während gleichzeitig die Abwesenheitsquoten sinken[9].
  • dass Talente einfacher gewonnen und an das Unternehmen gebunden werden können, da insbesondere die Millennials (oder Generation Y), die heute 35% der Belegschaft ausmachen, neue Erwartungen an die Unternehmen stellen[10].
  • dass verstärkt sogenannte organisationale Resilienz aufgebaut wird: Mit zunehmendem Vertrauen und steigender Loyalität, gehen MitarbeiterInnen im gesamten Unternehmen robuster mit Herausforderungen um – besonders in stressigen Zeiten[11].

Doch damit nicht genug: Neben den wirtschaftlichen Vorteilen für Unternehmen, hat sinnstiftende Arbeit auch positive Auswirkungen auf das Working-Life der Menschen:

4. Sinn schafft echten Mehrwert

Durch die Frage nach dem Sinn bzw. dem „Warum?“ werden der eigene Beitrag zu etwas Größerem und der entstehende Nutzen eines Dritten definiert. Dadurch wird unser Fokus während einer sinnerfüllten Aufgabe weg von uns selbst hin zu anderen gelenkt, z.B. zu unseren Kunden, unseren KollegInnen/MitarbeiterInnen oder der Gesellschaft als Ganzem. Dieser veränderte Referenzrahmen ermöglicht es uns, unsere persönliche Perspektive so zu verändern bzw. zu erweitern, dass echter Mehrwert entsteht.

5. Sinn unterstützt die Gesundheit

Purpose in Life (PIL) ist ein Forschungsgebiet, das sich auf emotionale, mentale, soziale und spirituelle Faktoren konzentriert, die die Gesundheit direkt beeinflussen können. ForscherInnen gehen heute davon aus, dass ein sinnerfülltes Leben mit einer nachhaltig verbesserten physiologischen Gesundheit einhergeht - insbesondere mit Blick auf Demenz, Rückenmarksverletzungen, Schlaganfälle sowie immunologischen und kardiovaskulären Probleme.[12] Sinnerfüllung wirkt also nicht nur positiv nach außen, sondern auch nach innen.

6. Sinn – nicht Glück – bringt dauerhafte Erfüllung

Das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun wirkt jedoch nicht nur positiv auf unsere Gesundheit, sondern auf beinahe alle Aspekte unseres Lebens. Im Rahmen einer Studie der National Academy of Sciences mit älteren Erwachsenen begleiteten die WissenschaftlerInnen StudienteilnehmerInnen über Jahre und stellten fest, dass sich deren Leben zunehmend ins Positive entwickelt hat, je sinnstiftender sie ihren persönlichen Beitrag zu etwas Größerem empfanden[13].

Das Gefühl, dass das eigene Leben einen Sinn hat, kann dabei von unterschiedlichen Faktoren abhängen: von erfüllender Arbeit (bezahlt oder unbezahlt), von Beziehungen, vom Glauben oder sogar davon, regelmäßig den Sonnenuntergang zu genießen. Während es nicht wichtig ist, was dem Leben einen Sinn gibt, so ist es von größter Bedeutung, dass man ihn findet.

 

Was heißt das nun für die Unternehmen?

In einem „sinnorientierten“ Unternehmen ist der Ansatz des Vorhersagens und Kontrollierens nicht länger der einzige Weg: Anstatt eine Zukunft vorherzusagen und diese mit allen Mitteln umzusetzen, hören die neuen Top-Führungskräfte darauf, in welche Richtung sich das Unternehmen ganz natürlich bewegt. Sie unterstützen es dabei, indem sie präsent sind, bewusst und unbewusst Informationen aufnehmen, durch den Purpose-Filter laufen lassen und vom Sinn die Richtung bestimmen lassen. Die große Herausforderung ist dabei, dass sie die schöne, angenehme Illusion der Kontrolle, zumindest teilweise, loslassen müssen.

Zur erfolgreichen Erfüllung sinnerfüllter Aufgaben sind zudem neue Formen der Zusammenarbeit nötig – weg von Silodenken, hin zu selbstorganisierten, cross-funktionalen Teams. Aus diesem Grund müssen Unternehmen die Suche nach Sinn in ihre Kultur und in ihr Organisationsmodell aufnehmen[14].

 

Im zweiten Teil stellen wir Ihnen unsere fgi-interne Definition von individuellem und organisationalem „Purpose“, auch in Abgrenzung zu den bekannteren Begriffen „Vision“ und „Mission“ vor und diskutieren das Thema Sinnstiftung auch aus kritischer Perspektive. Wenn Sie Fragen zum Thema Purpose bzw. Sinnstiftung haben, wenden Sie sich gern direkt an lisa.weise@fgi-mail.com.

 

Quellen:

[1] Fink, 2018: Larry Fink's 2018 Letter to CEOs. A Sense of Purpose, online verfügbar unter; https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/2018-larry-fink-ceo-letter, zuletzt abgerufen am 21.03.2019 und Fink, 2019: Larry Fink's 2018 letter to CEOs. Purpose & Profit,, online verfügbar unter: https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/larry-fink-ceo-letter, zuletzt abgerufen am 21.03.2019

[2] Canwell/Cotton 2018: Purpose-driven Leadership. Inspiring and Leading in a complex environment“ in: Development Dimensions International Inc., The Conference Board Inc, EYGM Ltd. 2018: Global Leadership Forecast

[3] Schüller 2019:  Die Orbit-Organisation: In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft, GABAL

[4] Deloitte Development LLC, 2014: Culture of Purpose - Building business confidence; driving growth. 2014 Core beliefs and culture survey

[5] Canwell/Cotton 2018: "Purpose-driven Leadership. Inspiring and Leading in a complex enviroment" in: Development Dimensions International Inc., The Conference Board Inc, EYGM Ltd. 2018: Global Leadership Forecast

[6] Fink, 2019: Larry Fink's 2018 letter to CEOs. Purpose & Profit,,online verfügbar unter: https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/larry-fink-ceo-letter, zuletzt abgerufen am 21.03.2019

[7] Fink 2019; Larry Fink's 2018 letter to CEOs. Purpose & Profit, online verfügbar unter: https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/larry-fink-ceo-letter, zuletzt abgerufen am 21.03.2019, und Schüller 2019: Die Orbit-Organisation: In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft, GABAL

[8] Canwell/Cotton 2018: Purpose-driven Leadership. Inspiring and Leading in a complex environment“ in: Development Dimensions International Inc., The Conference Board Inc, EYGM Ltd. 2018: Global Leadership Forecast

[9] AOK Fehlzeiten Report, 2018: verfügbar unter: https://www.aok-bv.de/imperia/md/aokbv/presse/pressemitteilungen/archiv/2018/02pressemitteilung_pk_fzr_2018.pdf, zuletzt abgerufen am 21.03.2019

[10] Fink, 2019: Larry Fink's 2018 letter to CEOs. Purpose & Profit, online verfügbar unter: https://www.blackrock.com/corporate/investor-relations/larry-fink-ceo-letter, zuletzt abgerufen am 21.03.2019 und Deloitte Development LLC, 2014: Culture of Purpose - Building business confidence; driving growth. 2014 Core beliefs and culture survey

[11] Canwell/Cotton 2018: Purpose-driven Leadership. Inspiring and Leading in a complex environment“ in: Development Dimensions International Inc., The Conference Board Inc, EYGM Ltd. 2018: Global Leadership Forecast

[12] Sherman et al, 2012: „Leadership is Associated with Lower Levels of Stress“. Proceedings of the National Acadamy of Sciences of the United States of America

[13] Kaplin, 2015: New Movement in Neuroscience: A Purpose-Driven Life: online verfügbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4564234, zuletzt abgerufen am 14.05.2019

[14]Laloux 2016: Reinvernting Organizations visuell, Vahlen Franz GmbH




















 
 
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