Fischer Group International
April 14, 2020

Purpose: Auf der Suche nach dem Sinn (Teil 3)

Von: Lisa Weise & Jutta Rogner

Für viele Manager war Sinnstiftung (oder Purpose) bisher ein weiches, unscharfes Wohlfühlthema, das nicht in ihrem Fokus stand. Im ersten Teil der Reihe haben wir Ihnen sechs gute Gründe genannt, warum es sich doch gerade jetzt lohnt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Im zweiten Teil haben wir uns kritisch mit dem Thema Purpose auseinander gesetzt und Ihren unsere Definitionen für „Mission“, „Vision“ und „Purpose“ vorgestellt.  Im dritten und letzten Teil zeigen wir Ihnen, wie Sie für Ihr Team einen tragfähige Purpose entwickeln können – gerade in Krisenzeiten 

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Teil 1 unserer Purpose-Reihe begann mit der Frage: Warum lohnt sich die Suche nach dem Sinn? Heute, im April 2020 inmitten der Corona-Krise, muss man die Frage anders stellen: Lohnt es sich wirklich, gerade jetzt nach Sinn zu suchen? Jetzt, wo die Welt aus den Angeln gehoben ist und uns ganz andere Dinge beschäftigen? Jetzt, wo wir uns mit existentiellen Ängsten und großen Sorgen um Menschen konfrontiert sehen, die uns lieb sind?  

Wir meinen ja. Wir befinden uns am Anfang einer wirtschaftlichen Rezession, bestenfalls einer kurzen, schlimmstenfalls einer sehr langen und intensiven Phase von Einschränkungen. Viele Menschen befinden sich in Kurzarbeit und wissen vielleicht nicht, ob es ihren Job nach der Krise noch geben wird. Andere sind InhaberInnen von kleinen und mittelständischen Unternehmen, deren Weiterbestehen davon abhängt, wie lange die Kontaktsperre andauern und wie lange die staatliche Unterstützung reichen wird. Eine weitere Gruppe von privilegierteren WissensarbeiterInnen hat die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten, muss aber dabei vielleicht Kinder betreuen und/oder Familienangehörige pflegen. All diese Menschen haben eines gemeinsam: In Zeiten wie diesen stellen sie vieles infrage.  

Die kollektive Krisenerfahrung 

Eine kollektive Erfahrung ist, frei nach Foucault (1996, S. 24) etwas, aus dem man verändert hervorgeht. Die aktuelle Situation ist eine solche Krisenerfahrung und sie birgt das Potenzial, die Menschen und vielleicht sogar die gesamte Gesellschaft zu verändern. Je nachdem welchem Szenario man folgt, könnte mit der Corona-Krise eine gesamtgesellschaftliche Transformation in unterschiedliche Richtungen einhergehen – von zunehmender Kontrolle in allen Lebensbereichen bis hin zu einer „Postindividualisierungs-“ oder „Wir-Kultur“.   

Wann immer wir in Krisenzeiten mit einer Destabilisierung im Privaten wie im Arbeitsleben konfrontiert sind, werden auch unsere Denk- und Handlungsmuster, die wir zur Bewältigung solcher Problemlagen nutzen, auf die Probe gestellt. Wenn wir an einen Punkt kommen, an dem unsere bisherigen Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen nicht mehr ausreichen, um der Situation adäquat zu begegnen, laufen wir Gefahr, daran zu zerbrechen. Die Frage ist also, wie wir es einzeln aber auch im Kollektiv schaffen, einer Krisenerfahrung (möglichst) positiv zu begegnen und vielleicht sogar Kraft daraus zu schöpfen, sodass neue Denk- und Handlungsmuster entstehen können (vgl. Koller, 2012, S. 71ff).

Sinnstiftung als Thema in der Krise 

Nicht zuletzt leiden die Unternehmen unter der Destabilisierung ihrer wirtschaftlichen Situation. Vielleicht sind ganze Geschäftsbereiche weggebrochen oder es gab gar eine komplette Neuausrichtung der Strategie und/oder der Struktur. In jedem Fall sind solche Zeiten bei den Menschen in den Unternehmen mit vielen Zukunftsängsten verbunden und damit mit einem gesteigerten Bedürfnis nach Orientierung und Zusammenhalt. Beides kann durch ein verbindendes „Warum“den gemeinsamen Purposeunterstützt werden, indem sich Führungskräfte und MitarbeiterInnen daran orientieren und an Stabilität (zurück)gewinnen können 

Fragt man konkret danach, was die Menschen in einem Unternehmen eigentlich verbindet, so bekommt man unserer Erfahrung nach häufig zu hören, was genau getan wird oder wie man es tut. Das „Warumsprechen die wenigsten aus. Hakt man nach, so zeigt sich jedoch, dass in den allermeisten Fällen zumindest ein Gefühl oder eine Ahnung davon vorhanden ist, was dieses Verbindende, das gemeinsame „Warum“ sein könnte. Diese Ahnung sichtbar zu machen ist gleichermaßen die Aufgabe und die Herausforderung, wenn es darum geht, einen tragfähigen Purpose zu entwickeln.  

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Die Purpose-Entwicklung 

Um den gemeinsamen Purpose zu formulieren, braucht es vor allem eins: Interaktion. Ein Purpose kann nicht im „stillen Kämmerlein“ entstehen und auch nicht von Einzelpersonen auf Basis von Daten herausgearbeitet werden. Die Entwicklung baut stattdessen auf Perspektivenvielfalt und Austausch. Im Folgenden betrachten wir die Erarbeitung eines „Team-Purpose im Rahmen eines ein-tägigen Workshops. Der wesentlich komplexere Prozess, einen gesamten Unternehmenspurpose zu finden und auszuformulieren, würde hier den Rahmen sprengen.  

Es lassen sich vier zentrale Schritte auf dem Weg zum „Team-Purpose“ identifizieren: 

1. Einen guten Startpunkt ausmachen  

Wurde bereits an einem Purpose oder verwandten Themen wie Vision, Mission, Werten etc. gearbeitet? Dann tut man gut daran, auf bereits Vorhandenem aufzusetzen, da hieraus möglicherweise ein Rahmen für den Team-Purpose gebildet werden kann. Dieser Rahmen sollte am Ende auch zum Purpose passen oder diesem zumindest nicht widersprechen. Zudem wird durch Sondierung der Ausgangssituatuon klar, an welchen Stellen es Widersprüche oder auch Leerstellen gibt, die bearbeitet und gefüllt werden wollen.  

Eine sinnvolle Übung ist es, das Vorhande gemeinsam zu sortieren. Hier haben wir gute Erfahrungen mit dem Modell des Golden Circle von Simon Sinek gemacht, der nach WHY (Purpose), HOW und WHAT unterscheidet. Eventuell vorhandene Beschreibungen der Unternehmenskultur gemeinsam in diese Kategorien zu sortieren, hilft dabei, sich dem „echten Warum“ zu nähern und sich nicht daran aufzuhalten, was man tut und wie. Auch eine kurze Abfrage des individuellen WHYs der Teammitglieder im Vorfeld des Workshops kann bisweilen ein guter Einstieg in das Thema sein. 

2. Gemeinsam bewegende Bilder finden 

Das „Warum“ ist etwas, was stark an den Emotionen der Menschen andockt und daher auch nicht rein analytisch erarbeitet werden kann. Aus diesem Grund nähern wir uns diesem Thema einfacher an, wenn wir einen Einstieg über kreative Methoden wählen. Gute Erfahrungen haben wir beipsielsweise mit dem Einsatz von LEGO Serious Play gemacht: Das Team baut seinen Purpose als LEGO-Modell und tauscht während des Bauens Gedanken über die verwendeten Symbole und Bilder aus. Aus einzelnen „Sinn-Bausteinen“ entsteht so ein gemeinsames Bild im doppelten Sinn: Warum tun wir in unserem Team das, was wir tun und welchen Nutzen stiften wir damit bei anderen?  

Dieser Prozess ist auch für uns als BeraterInnen und Coaches wunderschön zu beobachten, denn es entsteht oft ein ganzes Feuerwerk an Ideen und Bildern, Begeisterung wird spür- und sichtbar. Und manchmal ist bereits die eine zündende Idee dabei. Ein solcher Prozess verbindet und bleibt in Erinnerung. Er ist etwas, auf das man sich rückbesinnen kann, wenn der Sinn im hektischen Arbeitsalltag (oder in der nächsten Krise) einmal abhanden kommt.  

3. Die Bilder in Worte übersetzen 

Nun kommt der erfahrungsgemäß schwierigste Teil: Wie fasst das Team das, was allen Teammitgliedern als Bild sofort emotional „einleuchtet“ in die richtigen Worte? Und zwar in wenige Worte, genauer gesagt: Einen Satz. Noch genauer gesagt: Einen Satz ohne Nebensätze. In Worte, die das Wesentliche des Bildes umfassen, die präzise sind ohne einzuengen. Die verständlich sind und die emotional ansprechen – so wie die Bilder eben. Das ist schwer. Unterwegs erscheint es zeitweise sogar unmöglich und die Beteiligten ringen zumeist um jedes Wort. Dieser Prozessschritt ist so herausfordernd, weil wir die Hirnseite dabei wieder wechseln, denn das Sprachzentrum sitzt nicht dort, wo wir mit unseren Emotionen unterwegs sind bzw. wo wir die Bilder generiert haben. 

Wir haben den Prozess daher in mehrere Schritte zerlegt: Zunächst lassen wir jede/n Einzelne/n für sich Assoziationen notieren und daraus in sehr kurzer Zeit ein individuelles Purpose-Statement bilden. Perfektion ist hier nicht das Gebot der Stunde, es geht eher darum, schnell zu fassen, zu bekommen, was emotional berührt hat, bevor es sich verflüchtigt. Anschließend arbeiten wir in kleinen Gruppen, die sich eigenständig und nach Interesse zusammenfinden, an unterschiedlichen Purpose-Statements. Diese Gruppenprozesse brauchen Zeit für die Auseinandersetzung mit dem Anderen. Und sie benötigen auch die persönliche Fähigkeit und Bereitschaft, das selbst Erdachte loszulassen und gemeinsam an der Idee der anderen weiterzuarbeiten.  

4. Einen gemeinsamen „Sinn-Schirm“ finden 

Im letzten Schritt geht es um Verdichtung und Fokussierung. Die Entscheidung für einen gemeinsamen Team-Purpose steht an. Hier kommt immer wieder die berechtigte Frage auf, ob es überhaupt einen Purpose geben kann, der für alle gilt. Wir glauben, dass es darauf ankommt, etwas zu finden, das eher als ein Schirm fungiert, unter den möglichst viele Teammitglieder mit ihren individuellen Sinn-Verständnissen schlüpfen können. Der Großteil der Teilnehmenden sollte sich mit der Formulierung identifizieren oder zumindest in Teilen wiederfinden bzw. angesprochen fühlen. Jede/r sollte am Ende sagen können: „Ja, dazu möchte und kann ich etwas beitragen. Und die Kunden (interne und externe) sollen sagen können: Mit diesem Team möchte ich gerne zusammenarbeiten. 

Meist ist hier noch einiges an Aggregationsarbeit und verbalem „Feintuning“ zu leisten, bevor gemeinsam der Team-Purpose verabschiedet werden kann. Dies erfolgt oft erst im Nachgang eines Workshops durch einen Teil des Teams. Hierbei ist es wichtig dranzubleiben, das Team weiter zu begleiten und so sicherzustellen, dass der Prozess nicht kurz vor Abschluss steckenbleibt und die im Workshop erzeugte Energie verpufft. Das Frustpotenzial wäre dann enorm hoch. 

 

Zum Schluss noch einige Hinweise für die Führungskräfte 

Wir möchten Ihnen zum Abschluss noch ein paar Dinge ans Herz legen, die aus unserer Erfahrung wichtig sind, um Frust zu vermeiden: 

  • Beschäftigen Sie sich als Führungskraft nicht mit dem Thema Purpose, „weil man das gerade macht“ oder weil das Marketing, HR oder die Kommunikation danach rufen, sondern dann, wenn sie voll dahinter stehen und das Thema für wirklich wichtig erachten.  
  • Zeigen Sie Engagement. MitarbeiterInnen beobachten sehr genau, wie engagiert eine Führungskraft hier mitarbeitet. Wenn Sie nicht am Purpose-Workshop teilnehmen oder sich im Workshop mit anderen Themen beschäftigen, spricht das Bände in den Augen Ihrer MitarbeiterInnen. Würden Sie einem Strategie-Workshop fernbleiben? Wohl eher nicht. 
  • Schaffen Sie Freiräume in jeder Hinsicht: Sorgen Sie für genug Zeit, Platz und Material. Schaffen Sie Raum für Neues, Nicht-Perfektes und vielleicht auch für bislang Ungehörtes.  
  • Sorgen Sie für professionelle Begleitung, die den Prozess steuert, damit Sie sich ganz auf die inhaltliches Arbeit und Diskussion mit Ihrem Team konzentrieren können.  
  • Bleiben Sie dran und stellen Sie sicher, dass die letzten Schritte zeitnah zum Workshop erfolgen.  
  • Füllen Sie den erarbeiteten Team-Purpose mit Leben zusammen mit Ihrem Team, indem Sie ihre Entscheidungen und ihr Handeln als Team danach ausrichten und dies auch nach außen kommunizieren. 

Jedes Unternehmen hat einen Sinn, der über reine Wirtschaftlichkeit hinaus geht, denn es ist irgendwann aus einer bestimmten Motivation heraus gegründet worden. Auch jeder Unternehmensbereich bzw. jedes Team erfüllt dabei seinen ganz eigenen Beitrag zum übergeordneteten Unternehmenszweck. Für beides gilt es diese, gerade in Krisenzeiten, durch verbindende Elemente wiederzuentdecken.  

 

Wenn Sie Fragen zum Thema Purpose bzw. Sinnstiftung haben, wenden Sie sich gern direkt an Lisa Weise oder Jutta Rogner.

LisaundJutta

Fischer Group International

 

Quellen:

[1] Foucault, 1996: Der Mensch ist ein Erfahrungstier. Gespräch mit Ducio Trombadori. Frankfurt/M.: Suhrkamp (it. Original 1980) 

[2] Koller, 2012: Erfahrung als Krise I: Zu Günther Bucks Konzept ‚negativer Erfahrung‘ in: Bildung anders denken. Stuttgart: Kohlhammer. 

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